Erstellt von Perli am 12.08.2022

Schrei! – Störsender Anthropozän / VÖ 29.07.2022 via Yellow Snake

Sechsundvierzig Minuten und einundzwanzig Sekunden stahlharter Heavy Metal, ehrlicher Punkrock und eine klitzekleine Prise gefühlvolle Romantik. Das steht auf der Zutatenliste des neuen Albums Störsender Anthropozän der Band Schrei! Ein vorbereitetes Musikmahl, deren Köche sich nicht hinter der Kelle verstecken müssen, denn in diesem Fall verderben viele Köche nicht den Brei, sondern kredenzen dem Hörer ein gründliches Stück gepresstes Polycarbonat.

Am musikalischen Herd stehen Rudi Haußels, Olaf Hoffmeister, Jörg Schulz und Eckert Geier.

Dieser klangintensive Schmaus besteht aus zwölf abwechslungsreichen Elementen, die nicht zwingend in vorgegebener Reihenfolge gehört werden müssen, denn derbe Poesie folgt weder einem Reimschema noch braucht sie ein Versmaß und eine Reihenfolge schon gar nicht.


Tracklist:

  1. Planet der Affen
  2. Sauf
  3. Rock´n Roll Spießer
  4. Kapalkenlied
  5. Viel zu laut
  6. Peter Panka
  7. Schmerzfrei
  8. Sex
  9. Frauen
  10. Treue Gefährten
  11. Kein Koks
  12. Auf Wiedersehen

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1… Der Countdown wird von einer Horde Kinder gezählt und im Hintergrund lässt ein impulsiver Gitarrenriff erahnen, was nun folgt. „Planet der Affen“ heißt die erste Nummer und als der Countdown gezählt ist, brettert resistenter Metal über die Lautsprecher in die Ohren. Sie heißt den Hörer willkommen auf dem Planeten der Affen, vermutlich unserer Erde, und begrüßt ihn auch zum Einstieg in das Album.

Die Party kann also losgehen. Und was begleitet fast jeden auf einer Party? Richtig! Der Alkohol. „Sauf“ ist der Befehl, alles vergessen und keinen Tropfen mehr übrig lassen. Eine gehörige Punkrock-Melodie und ein Gitarrensolo, dass zum Luftgitarre spielen animiert, begleiten den Text. Eine Nummer, die anheizt.

... Wir sind Rock´n Roll Spießer... heißt die nächste Nummer und feiert meiner Meinung nach, diejenigen, die der Lebenseinstellung ROCK´N` ROLL treu geblieben sind. Die Bezeichnung ist ironisch gemeint und darf auf keinen Fall falsch verstanden werden. Ein Spießer, weil man die alte Schule lebt, so schafft es Schrei! dem negativ belegten Wort eine neue Bedeutung ein zu hauchen. Ich sehe schon die ersten T-Shirts vor mir.

Hier kommt sie, die klitzekleine Prise gefühlvolle Romantik, allerdings nur im akustischen Gitarrenspiel verankert. Das „Kapalkenlied“. Hört man genauer hin, stellt man fest, es ist weder eine romantische Geste noch ein rührseliges Liebesbekenntnis. Es ist ein Loblied auf alle Störenfriede, auf alle notorischen Säufer und auf alle unerwünschten Gäste.

Harter Rock und Headbangen sind nun angesagt und manch einer, vor allem jene, die mit dieser Musik nichts anfangen können, würden sagen: „Viel zu laut“. Energische Gitarrenriffs, ein fetter Bass, unerbittliche Drums und ein forscher Rhythmus machen die Nummer zu einem Highlight des Albums.

Peter Panka“ ist eine Hommage an einen erfolgreichen deutschen Vollblutmusiker, der die Welt bereits im Jahr 2007 verlassen musste. Sie erzählt von seinem Leben und huldigt ihm als Musiker. Unterlegt ist die Nummer mit nostalgischem Rock und einer eingängigen Melodie, die ins Ohr geht.

100% resistent und „schmerzfrei“ gegenüber larifari Medien. Ganz klar wird ein bestimmtes Format im deutschen Fernsehen angesprochen, den jeder möchte ein Superstar sein; oder doch nicht? Schrei! will das auf keinen Fall und zieht lieber ihr eigenes Ding durch. Mit dieser Nummer geben sie ein ironisches Statement ab und legen eindeutig fest, was sie davon halten. Begleitet wird die klare Ansage von einer Trash-Melodie und einem tiefen Atemzug Punkattitüde.

 

Harte Klänge und eine ordentliche Portion Heavy Metal dröhnen durch die Boxen und leiten das nächste Stück ein. „Sex“. Wer nun eine versaute und monotone Nummer über die schönste Nebensache der Welt erwartet wird enttäuscht, denn es kommt viel besser. Eine Erzählung über eine Dame; ach hört selbst rein. Lasst euch überraschen und findet raus, was Socken in dieser Nummer zu suchen haben.

Pogo Leute, mit oder ohne „Frauen“. Allerdings dürfte diese Nummer sie eher verschwinden, statt bleiben lassen. Ein harter Ritt auf der Gitarre, den Drums und dem Bass, wie es sich gehört für eine Nummer, die von Beginn an zum pogen anstachelt. „...Es sind die Frauen, die in die Menge schauen und was sie sehen, darum sind sie abgehauen....“

Treue Gefährten“ sind so wichtig und unerlässlich für ein strahlendes Leben. Egal ob Freund, Frau, Mann oder Familie. Melodisch versteht man jetzt, was mit Heavy- Punkrock gemeint ist, denn genau das ist es. Gegen Ende kehrt sich die Botschaft allerdings um und verurteilt alle Blender, die sich als untreue Lügner entpuppen.

Schnell und unnachgiebig geht’s weiter. „Kein Koks“ erzählt von paranoiden Trips, die man dieser Substanz verdankt. Das Solo von Gitarre und Drums macht richtig Laune und der Text ist derart eindringlich, dass mitsingen schon nach zwei Minuten nicht schwerfällt.

Auf Wiedersehen“ heißt die nächste Nummer und damit ist das Album bei dem letzten Lied angekommen. Wie bereits die erste Nummer hat auch die letzte eine doppelte Botschaft. Exakt und intelligent platziert. Eine Verabschiedung mit Tiefgang, unterlegt von einer rockigen Melodie, die einen Hoffnung schöpfen lässt: „...Irgendwann werden wir uns wieder sehen...“.


Fazit:

Anthropozän beschreibt per Definition das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden ist; also das Zeitalter des Menschen. Dieses Album eröffnet Schrei! ein weiteres Kapitel ihres eigenen Zeitalters und wird die Hörer, Fans und Kritiker noch eine Weile beschäftigen. Denn eins steht fest: Schrei! liebt man oder Schrei! hasst man, ein Gefasel dazwischen wird kaum möglich sein.

 

Julez
AGF- RADIO