Erstellt von Perli am 29.06.2022

ToMik - Mit offenen Augen / VÖ: 15.06.2002 via Calygram Records

Wann immer eine Band aus dem Pop-Rock-Genre ein neues Album veröffentlicht, erwartet man in den meisten Fällen, eine Ansammlung billig sentimentaler und kitschiger Musikstücke. Die Band ToMiK zerschlägt diese Erwartung vollends und dreht die im Vorfeld getroffenen Annahmen einmal komplett um. Neuster Beweis dafür ist das am 15. Juni 2022 unter dem Label Calygram Records veröffentlichte Album Mit offenen Augen. Es lässt den Hörer nach dem ersten Durchlauf mit verwirrenden Eindrücken und deutlicher Neugier zurück.

Thomas Spieß und Mike Pape sind die beiden Protagonisten, die der Band ihren Namen geben und sie im Jahr 2016 in Halle an der Saale zum Leben erwecken. Grundsolide und ehrliche Gitarrenriffs legt Thomas als Gitarrist der Band vor und Mike ergänzt als Sänger mit klarer, sauberer Stimme. Beide komplementieren somit die Band, nach dem vermeintlich fehlenden Drummer sehnt sich, nach meiner Meinung, niemand. Beide Künstler stammen aus dem charmanten Bundesland Sachsen-Anhalt, von da aus erobern sie die Szene und erreichen ihren vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2021 als ihre Musik und die Band dreifach beim 39. Deutschen Rock + Pop Preis ausgezeichnet werden. Die Auszeichnungen in den Kategorien „Bester Rock-Song 2021“, „Bestes Rock-Album“ und „Beste Rock-Band“ legen den Maßstab fest und spiegeln die Qualität der Musik und die Leidenschaft der Band wider. Das neue Album ist also vielversprechend und gespannt warte ich auf die ersten Klänge nach dem Druck auf die Playtaste.


Tracklist

  1. Mit offenen Augen
  2. Rücken an der Wand
  3. Auf die Reise
  4. 10000 Wünsche
  5. Schmutziges Geld
  6. Sturm am Horizont
  7. Adrenalin
  8. Alles was man braucht
  9. Nie genug
  10. Lass mich frei
  11. Wieder nach Haus

Der erste Track des Albums „Mit offenen Augen“ wurde bereits im März 2022 als Single veröffentlicht und markiert einen milden und aussichtsreichen Anfang. Die direkte Ansprache im Text lässt mich aufmerksam werden und ich nicke während den Strophen immer wieder zustimmend mit. Es fühlt sich wie ein direktes Gespräch mit einer hilfreichen Empfehlung an, nämlich „...Befreien wir uns aus dieser Trance...“. Ein guter Rat, um mit dem Irrsinn der Welt fertig zu werden. Die wohltönende Melodie des Tracks untermalt die so wichtige Empfehlung und spätestens zum Ende weiß ich, worauf ich mich bei diesem Album einlasse.

„Rücken an der Wand“ erschien ebenfalls bereits als Single. Der zweite Titel ist eine spannende Fortsetzung im Album und bringt stabile Gitarrenriffs ein, die während des gesamten Tracks im Vordergrund stehen. Der Gesang und der Text runden alles ab. „...Das droht dir jederzeit. Fehler sind Menschlichkeit....“ Unweigerlich werde ich in Szenen meiner eigenen Irrtümer katapultiert und ich bin fast schon gezwungen, sie Revue passieren zu lassen. Noch bevor ich tiefer eintauchen kann, ist die Nummer dann aber zu Ende.

Nach diesem ersten Tiefgang ist  „Auf die Reise“  eine willkommene Abwechslung, die die Laune wieder hebt und dennoch der roten Linie im Album treu bleibt. Die Melodie ist verspielt, der Text ist auffordernd und reißt mich mit. „...Hey, geh auf eine Reise, das wird endlich mal Zeit...“ - ausbrechen aus meinem Hamsterrad, raus und was erleben.

10000 Wünsche“ und noch mehr äußert ein Jeder in seinem Leben, sei es in Gedanken, in Wort oder in Schrift. Der folgende Track behandelt genau das und beschreibt den schwierigen Weg bis zum hart erarbeiteten Ziel. Der rasante melodische Anstieg im Lied motiviert mich regelrecht, bereits ad Acta gelegte Wünsche neu in Angriff zu nehmen und sofort los zu legen.

Als Nächstes steht schwere Kost auf dem Menüplan, denn es wird Schmutziges Geld“ serviert. Bedrohlich entwickeln sich die ersten Klänge dieses Musikstücks, gehen abrupt in rhythmischen Gitarrenriffs auf und zusammen mit einer eingängigen Melodie schallen beide noch eine Weile, bevor der Gesang einsetzt: „...Sie kaufen ein. Sie bilden aus. Sie schalten gleich. Die Welt ist längst Infiltriert...“. Diese Nummer greift thematisch einige Punkte auf, die auch meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft nicht stimmen, er regt zum Nachdenken an und die zuvor erlangte Motivation weicht aufkeimender Wut.

Leichter wird es im folgenden Track „Sturm am Horizont“, der bereits im Jahr 2020 als Single erschien, thematisch nicht. Der zuvor gewachsene Keim wird erstickt und durch ein dumpfes Gefühl der Wehmütigkeit ersetzt. Drei Geschichten aus dem Leben der Opfer von schmutzigem Geld durchziehen den Text. Der Grundton des Liedes wirkt jedoch positiv, als stünde zwischen den Zeilen der Weckruf und eine Aufforderung auszubrechen, bevor man selbst so endet wie in den Geschichten. „...Hilflosigkeit produziert Wut und Aggression. Wo sowas endet, das wissen wir schon....“

Der nächste Track bringt wieder Schwung ins Innere, bündelt die Wehmütigkeit und kehrt sie in „Adrenalin“ um. Eine schnelle Abfolge der einzelnen Rhythmen verbunden mit dynamischen Gitarrenriffs, motivieren erneut wie in den Liedern vor dem ersten Tiefgang. Wow, ein Looping im Album.

Alles, was man braucht“ knüpft inhaltlich nahtlos an den vorherigen Track an. Hat man den Mut und die Kraft gefunden, sich aus dem Hamsterrad unserer Gesellschaft zu befreien, dauert es nicht lang bis der nächste K.O.-Schlag auf einen wartet, um einen zu Boden zu ringen. In diesem Fall: „...Alles, was man braucht, ist ein Freund in der Not, jemand, dem man vertraut, dessen Nähe einfach gut tut...“. Die Melodie rückt in den Hintergrund, denn die Botschaft ist wichtiger.

Der rote Faden wird weiter gespannt und „Nie genug“ beschreibt den nächsten Schritt. Wenn man zuerst voller Tatendrang und der festen Überzeugung ist, dass niemand auf der Welt einen aufhalten kann, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Selbstzweifel und Druck von außen, jeder hat eine Meinung, aber „...Wer dich auch treibt, hör auf dein Gefühl. Schalt 'nen Gang runter und bleib dir treu...“

Eine Ursache für einen K.O.-Schlag im Leben kann z.B. ein toxischer Mensch sein. „Lass mich frei“ handelt aus meiner Sicht davon, sich von diesem Menschen zu befreien. Meine Gedanken schweifen zur letzten Trennung und mir wird wieder klar, welch ein einzigartiges Gefühl die neu gewonnene Freiheit ist. Und dennoch findet bis zum Befreiungsschlag eine Veränderung statt, toxische Menschen machen etwas mit einem...

Wieder nach Haus“ verpasst dem Album als letztes Statement, eine abschließende wichtige Botschaft. Krieg gehört schon seit Jahrzehnten, nein schon seit Jahrhunderten zu unserem Alltag. Viel zu oft wird die Tatsache, dass ein Volk gegen ein anderes in den Kampf zieht, als notwendig angesehen, obwohl es oft um Streitpunkte geht, die für die, die es ausbaden müssen, nicht relevant sind. Von Gedanken, die ein Soldat in meiner Vorstellung nicht selten hat, erzählt dieses Lied. Ein Ton in der Melodie, der mich angesichts des Themas schon fast resignieren lässt, doch dann zum Refrain ein fordernder Gesang begleitet von positiven Vibes und der Hoffnung auf Veränderung. „...Ich will wieder nach Haus, treib mich schon viel zu lange hier rum. Ach komm schon lass mich hier raus. Die ständige Schießerei wird mir zu dumm....“


Mein Fazit:

Ein hin und her und auf und ab der Gefühle: Erregung, Reue, Wut, Impulse und Hoffnung. Ein Album fürs Hirn, das mich zuerst verwirrt, dann meine Neugier weckt und mich dann nicht mehr loslässt. ToMiK erarbeitet sich mit ihrer künstlerischen Arbeit sein eigenes Genre, denn selten war ein Album derart konsequent gesellschaftskritisch. Die nächste Party wird dieses Album nicht zünden, jedoch entzündet es mich, die Welt wieder Mit offenen Augen zu sehen.

 

Für das AGF- RADIO
Julez